Großflächig gekachelte Auf- und Abgänge, flackernde Infoscreens, bunte Werbedisplays, lange Plakatreihen mit Veranstaltungsankündigungen oder große Schaukästen für sogenannte Fahrgastinformationen. Darauf beschränkt sich in vielen Fällen die etwas triste Standardausstattung der Frankfurter U- und S-Bahnhöfe. Bei einigen unterirdischen Haltestellen hat man allerdings versucht, freundlicher wirkende Ausnahmen von der Regel zu schaffen: Beispiele für „Stationskunst in Frankfurt“ hat etwa die Eigenwerbung betreibende Frankfurter Verkehrsgesellschaft versammelt[1] – dazu zählen gemäß den Marketingfachleuten der VGF u. a. die U-Bahnhöfe Dom/Römer oder Habsburger Allee, dem etwa mit Udo Koch ein Absolvent der Städelschule ein individuelles Erscheinungsbild verliehen hat. Die Kunstkritikerin Britta Kadolsky wiederum hat auf ihre Website einen Beitrag der Journalistin Ruth Fühner gestellt[2], der neben der Habsburger Allee die von Künstlern wie Udo Koch (Parlamentsplatz) oder Gerald Domenig (Eissporthalle) gestalteten Stationen hervorhebt.
Einen weiteren Eintrag hat Fühner dem U-Bahnhof Bockenheimer Warte gewidmet. Ihm kommt bei der Kunst im Frankfurter Nahverkehr aus unserer Sicht eine besondere Rolle zu. Allein 15 großformatige Fotos der Frankfurter Fotografin Barbara Klemm säumen den Bahnsteig für die Fahrgäste der Linien U6 und U7 im ersten Tiefgeschoss, weitere 14 Motive ihres Schülers Mirko Krizanovic sind eine Ebene weiter unten an der Endhaltestelle der U4 zu sehen. Besonders hervorzuheben ist die Station Bockenheimer Warte zum einen, weil hier quasi der fast kostenlose (schon im Preis eines Kurzstreckenfahrscheins inbegriffene) Zugang zu einer Dauerausstellung zweier renommierter deutscher Fotokünstler im öffentlichen Raum möglich ist. Zum anderen, weil die Werke beider wertvolle historische Dokumente darstellen, die eine bedeutende Phase der Geschichte der Stadt Frankfurt, des Stadtteils Bockenheim und der Goethe-Universität abbilden. Auf diesen letzten Punkt werden wir im Verlauf dieser Projektdokumentation öfter zurückkommen.

Die U-Bahnstation Bockenheimer Warte mit einigen der großflächigen Fotos von Barbara Klemm im Hintergrund
Als Stadtteil-Historiker haben wir allerdings ausschließlich die 15 Aufnahmen Barbara Klemms für unsere Recherchen ausgewählt. Unmittelbarer Anlass für die Beschäftigung mit unserem Forschungsgegenstand war ein biografischer Bezug: Beide sind wir auf einem der Fotos zu sehen – inmitten der Menge von Studentinnen und Studenten im H VI des ehemaligen Hörsaalgebäudes auf dem alten Bockenheimer Unicampus, die einer Rede des damaligen hessischen CDU-Vorsitzenden Alfred Dregger „zujubeln“.

Dieses Ereignis aus dem Jahr 1982 spielte zu seiner Zeit eine nicht ganz unwichtige Rolle im politischen Geschehen an der Universität, in Frankfurt, ja sogar im Bundesland Hessen. Im Herbst 1986 wurde das Foto Barbara Klemms dann anlässlich der Eröffnung der Station Bockenheimer Warte für die U-Bahnlinien U6 und U7 im öffentlichen Raum ausgestellt. Relativ schnell stießen wir anschließend beide unabhängig voneinander auf die große Bildwand und erkannten uns darauf. In den Jahren danach erzählten wir beim Um- und Aussteigen an der Haltestelle Bockenheimer Warte Freunden, Bekannten und Familienangehörigen immer wieder seine Geschichte – nicht zuletzt den eigenen Töchtern, die anfangs die Wirkung des Bildes in der Öffentlichkeit durchaus skeptisch beurteilten („Mensch Papa, wie hast du denn damals ausgesehen?“), später jedoch mit zunehmendem Stolz davon berichteten, ihre Väter seien hier präsent. Diese Geschichte jetzt auch einem größeren Frankfurter Publikum nahezubringen, war sicherlich der erste, nicht unbedeutende Beweggrund für unsere Teilnahme am Stadtteilhistoriker-Projekt.
Aufgefallen sind uns während unserer Recherchen zu Barbara Klemm einige kleine Ungenauigkeiten, die wir Laienhistoriker gern korrigiert haben oder auf die wir in aller Bescheidenheit hinweisen möchten. So enthielt z. B. das Wikipedia-Porträt der Fotografin (https://de.wikipedia.org/wiki/Barbara_Klemm) eine Aufnahme, die laut Bildunterschrift die „U-Bahn-Haltestelle Bockenheimer Warte in Frankfurt am Main mit Fotos von Barbara Klemm“ zeigen sollte. In Wirklichkeit gab die Abbildung jedoch Einblick in das zweite Tiefgeschoss der U-Bahnstation. Die dortigen Fotos mit Szenen aus der Universität stammen aber, wie erwähnt, ausschließlich von Mirko Krizanovic. Ein von uns aufgenommenes Bild, das Barbara Klemms Werke richtigerweise längs des Bahnsteigs für die Linien U6 und U7 im ersten Tiefgeschoss verortet, ersetzt bei Wikipedia seit dem Sommer 2023 das alte falsche Motiv.
„Beeindruck[t]“ haben die Fotoarbeiten Barbara Klemms immer wieder die beiden Autoren Sabine Bitter und Helmut Weber – bei ihren Streifzügen durch Bockenheim und das Westend im Rahmen der Vorarbeiten zu einer „kritischen Architekturgeschichte der Frankfurter Goethe-Universität“ (Sabine Bitter, Helmut Weber (Hrg.), Bildungsmoderne entzaubern, Hamburg und Graz 2021). Wie sie dann aber zu der Aussage gelangten, die Aufnahmen zeigten Szenen „aus dem Universitätsalltag der späten 1960er Jahre“ (Bitter, Weber, S. 113), entzieht sich unserer Kenntnis. Dass Bitter und Weber in eine Bildstrecke in der Mitte ihres Bandes, mit „wiederholte[n] Blicke[n] auf die 1986 realisierte Fotoinstallation der Frankfurter Fotografin Barbara Klemm und ihre Aufnahmen aus dem universitären Alltag der Studierenden“ (a. a. O., S. 121), Motive von Krizanovic aus dem zweiten Tiefgeschoss der Station Bockenheimer Warte hineingemischt haben, macht ihre Würdigung Klemms nicht besser. Auch der Verweis allein auf Studentinnen und Studenten in dem Zitat ist irreführend. Wie wir im Laufe unserer Recherchen feststellen konnten, zeigen zahlreiche Bilder auch Bürgerinnen und Bürger aus Frankfurt und Umgebung, die nicht (mehr) studierten oder Hochschullehrer waren, aber dennoch an die Universität als Ort eines bedeutenden kulturellen Ereignisses oder einer öffentlichen politischen Debatte gekommen waren.
Eine winzige Ungenauigkeit ist schließlich auch dem Uni-Report in seiner Ausgabe vom 5. November 1986 (vgl. Uni-Report vom 5. November 1986, S. 1, https://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/40157/file/Unireport_1986_11.pdf, Zugriff am 8.7.2024) unterlaufen. Er weist in einer kurzen Notiz darauf hin, an der U-Bahnstation Bockenheimer Warte seien jetzt „Bilder aus der Universität Frankfurt“ zu sehen. Barbara Klemm sei „in den vergangenen Monaten“ durch die Hochschule gezogen und habe „Szenen aus dem Universitätsleben“ festgehalten. Nun ist diese Aussage zwar richtig, aber nicht vollständig. Denn einige der emblematischen Motive der Ausstellung an der Bockenheimer Warte (z. B. die Aufnahme Christa Wolfs von 1982) stammten bereits, auch das haben unsere Nachforschungen ergeben, aus dem Archiv der Fotografin und aus einer Zeit weit vor dem Herbst 1986.
Da wir uns aber nicht nur selbst bespiegeln wollten, war uns klar, dass sich unsere Darstellung nicht auf ein Fotomotiv beschränken, sondern das Ensemble der 15 Bilder in seiner Gesamtheit einbeziehen musste, um Aussagekraft zu gewinnen. Auch ohne zur Zeit unserer Bewerbung als Stadtteil-Historiker bereits zu wissen, dass Barbara Klemm für die Ausgestaltung des U-Bahnhofs einen ausdrücklichen Auftrag des Kulturamts der Stadt Frankfurt erhalten hatte[3], war ihre die Aufnahmen prägende, einheitliche künstlerische Handschrift bei den Aufnahmen von Anfang an deutlich. Und auch thematisch sahen wir schnell trotz der Vielfalt der Motive einen roten Faden: Hier waren durchgängig Szenen von den verschiedenen Standorten der Goethe-Universität und aus den Innenräumen der alten Universitätsgebäude von Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre zu sehen, die ein eindrückliches Bild der zu jener Zeit herrschenden Atmosphäre an der Hochschule vermitteln. Einer Atmosphäre, die trotz des Abebbens der 68er-Bewegung u. a. immer noch von Rebellion und intensiven politischen Auseinandersetzungen geprägt war. Barbara Klemm hatte, das kann man in dem Interview mit ihr in der Sonderbeilage der FAZ zum Jubiläum der Goethe-Universität[4] nachlesen, bereits in den 1960er und in der ersten Hälfte der 1970er Jahre die studentischen Proteste in Frankfurt fotografiert, die damals häufig von der Universität ihren Ausgang nahmen. Nicht umsonst wurde ihre Rolle als Dokumentaristin der Studentenbewegung später in der Ausstellung „Kunst der Revolte // Revolte der Kunst“ gewürdigt, die im Frühjahr 2018 im alten Studentenhaus auf dem Campus Bockenheim und im damaligen Ausstellungsraum des Universitätsarchivs gezeigt wurde.[5] Dass sie aber auch als Chronistin der nachfolgenden „78er-Generation“ verstanden werden kann – dies wollten wir nun mit unserer „Geschichte einer Fotoserie – die Aufnahmen im U-Bahnhof Bockenheimer Warte“ demonstrieren. Damit war aber auch klar, dass wir die Fotos Mirko Krizanovics nicht mit einbeziehen würden, da sie während eines späteren Zeitraums entstanden sind.
Darüber hinaus hatte sich seit der Veröffentlichung 1986 der Stellenwert der Wandbilder in der Station Bockenheimer Warte entscheidend verändert. Stimmten sie noch in den 1980er und 1990er Jahren die Hochschulangehörigen beim Aussteigen an der Haltestelle schon auf den eine Etage höher liegenden Campus ein, fiel diese Funktion spätestens mit dem Umzug der naturwissenschaftlichen Institute an den Riedberg und der übrigen Fachbereiche der Goethe-Universität ins Westend in den Poelzig-Bau (das ehemalige IG-Farben-Haus) seit den 2000er Jahren weg[6]. Die Hochschule hatte sich aus Bockenheim verabschiedet und jetzt in anderen Frankfurter Stadtteilen ihren Ort. Geblieben ist die Rolle der Fotos als historische Dokumente, die aber zumindest in Teilen inzwischen (das heißt in den Jahren 2023/24) längst nicht mehr selbsterklärend sind.

Eine Kurzgeschichte der Goethe-Universität bis 1986: Plakatwand in der U-Bahnstation Bockenheimer Warte
Wie also nun die Grundlagen für die Erzählung über die Fotos erarbeiten – 40 bis 50 Jahre nach ihrer Entstehung? Unabdingbar war natürlich ein Gespräch mit der Fotografin. Führen konnten wir es allerdings erst relativ spät im Verlauf unseres Projekts, da Barbara Klemm zuvor intensiv von anderen (Ausstellungs-)Projekten in Anspruch genommen wurde. Recherchen in Stadt- und Universitätsarchiv, in eigenen Unterlagen und/oder im Netz zu den abgebildeten Ereignissen kamen dazu. Die dritte Quelle bildeten Gespräche mit den auf den Fotos zu sehenden Protagonisten und Protagonistinnen, in denen auf ihre Erinnerungen an die fotografierten Szenen und auf ihre weitere Biografie Bezug genommen wurde. Uns interessierte, wie die Lebenswege und Karrieren derjenigen verlaufen waren, die mit ihren Abbildern quasi als Repräsentanten einer ganzen Generation den öffentlichen Raum an einem Verkehrsknotenpunkt in Frankfurt bevölkerten. Und wie sie auf die Zeit zurückblickten, aus der die Fotos stammten (ohne dass wir diese Interviews später in unserer Projektdokumentation eins zu eins hintereinander reihen wollten). Einer Zeit – und einer „Generation“ –, denen übrigens schon von unterschiedlichsten Feuilletonisten die unterschiedlichsten Diagnosen gestellt worden waren. So bereits Anfang der 1990er Jahre eher ironisch und vermeintlich distanziert von dem Journalisten Reinhard Mohr, selbst noch im Jahr 1979 AStA-Vorsitzender an der Goethe-Universität.[7] 30 Jahre später vom Historiker Philipp Sarasin, der die Jahre um „1977“ (so der lakonische Titel seines Buchs) als „Zwischenraum“, ja als Zeitenwende charakterisierte.[8] Oder zuletzt wohlwollend und ein wenig schulterklopfend von Roland Kaehlbrandt in einer Anfang 2023 wieder aufgeflackerten Debatte um die 78er-Generationenfrage in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.[9]
Ob diese Diagnosen in der Konfrontation mit den gesammelten Zeitzeugenaussagen Plausibilität beanspruchen können, war zwar nicht der wichtigste, aber doch ein interessanter Nebenaspekt unseres Forschungsprojekts. Bei der Beschäftigung mit dieser eher soziologischen Frage hatten wir allerdings die lokalhistorische nie vergessen: einen etwa ein Jahrzehnt umfassenden Abschnitt der Geschichte der Goethe-Universität zu erhellen, der eingebettet war in die Historie der Stadt Frankfurt. Und nachfolgenden Generationen (von Studentinnen und Studenten, U-Bahnfahrgästen oder Frankfurt-Touristen) zu erklären, was es mit den Szenen und den in Habitus und Kleidung heute bereits ein wenig fremd wirkenden Menschen auf sich hat, die sie da an der Bockenheimer Warte zu sehen bekommen. Wir hoffen jedenfalls, dass uns dies gelungen ist.
[1] https://blog.vgf-ffm.de/stationskunst/, Zugriff am 8.7.2024.
[2] https://brittakadolsky.com/kunst-unter-der-erde-der-louvre-des-rmv-frankfurt/, Zugriff am 8.7.2024.
[3] Frankfurter Allgemeine Zeitung / Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Verlagsspezial / „100 Jahre Goethe-Universität“, 26./29. Januar 2014, S. V6.
[4] a. a. O.
[5] Vgl. https://www.schirn.de/magazin/schirn_tipps/2018/kunst_der_revolte_revolte_der_kunst/, Zugriff am 8.7.2024.
[6] „Nach rund dreijährigem Umbau kann die Hochschule mit dem IG-Farben-Haus am 26. Oktober 2001 den ersten Abschnitt des Campus Westend eröffnen.“ (Von der Grüneburg zum Campus Westend, Frankfurt am Main 2007, S. 122).
[7] Reinhard Mohr, Zaungäste. Die Generation, die nach der Revolte kam, Frankfurt am Main 1992
[8] Philipp Sarasin, 1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart, Frankfurt am Main 2021
[9] Roland Kaehlbrandt, „Danke fürs Mitleid!“, FAZ vom 1.4.2023, S. 11
Großflächig gekachelte Auf- und Abgänge, flackernde Infoscreens, bunte Werbedisplays, lange Plakatreihen mit Veranstaltungsankündigungen oder große Schaukästen für sogenannte Fahrgastinformationen. Darauf beschränkt sich in vielen Fällen die etwas triste Standardausstattung der Frankfurter U- und S-Bahnhöfe. Bei einigen unterirdischen Haltestellen hat man allerdings versucht, freundlicher wirkende Ausnahmen von der Regel zu schaffen: Beispiele für „Stationskunst in Frankfurt“ hat etwa die Eigenwerbung betreibende Frankfurter Verkehrsgesellschaft versammelt[1] – dazu zählen gemäß den Marketingfachleuten der VGF u. a. die U-Bahnhöfe Dom/Römer oder Habsburger Allee, dem etwa mit Udo Koch ein Absolvent der Städelschule ein individuelles Erscheinungsbild verliehen hat. Die Kunstkritikerin Britta Kadolsky wiederum hat auf ihre Website einen Beitrag der Journalistin Ruth Fühner gestellt[2], der neben der Habsburger Allee die von Künstlern wie Udo Koch (Parlamentsplatz) oder Gerald Domenig (Eissporthalle) gestalteten Stationen hervorhebt.
Einen weiteren Eintrag hat Fühner dem U-Bahnhof Bockenheimer Warte gewidmet. Ihm kommt bei der Kunst im Frankfurter Nahverkehr aus unserer Sicht eine besondere Rolle zu. Allein 15 großformatige Fotos der Frankfurter Fotografin Barbara Klemm säumen den Bahnsteig für die Fahrgäste der Linien U6 und U7 im ersten Tiefgeschoss, weitere 14 Motive ihres Schülers Mirko Krizanovic sind eine Ebene weiter unten an der Endhaltestelle der U4 zu sehen. Besonders hervorzuheben ist die Station Bockenheimer Warte zum einen, weil hier quasi der fast kostenlose (schon im Preis eines Kurzstreckenfahrscheins inbegriffene) Zugang zu einer Dauerausstellung zweier renommierter deutscher Fotokünstler im öffentlichen Raum möglich ist. Zum anderen, weil die Werke beider wertvolle historische Dokumente darstellen, die eine bedeutende Phase der Geschichte der Stadt Frankfurt, des Stadtteils Bockenheim und der Goethe-Universität abbilden. Auf diesen letzten Punkt werden wir im Verlauf dieser Projektdokumentation öfter zurückkommen.

Die U-Bahnstation Bockenheimer Warte mit einigen der großflächigen Fotos von Barbara Klemm im Hintergrund
Als Stadtteil-Historiker haben wir allerdings ausschließlich die 15 Aufnahmen Barbara Klemms für unsere Recherchen ausgewählt. Unmittelbarer Anlass für die Beschäftigung mit unserem Forschungsgegenstand war ein biografischer Bezug: Beide sind wir auf einem der Fotos zu sehen – inmitten der Menge von Studentinnen und Studenten im H VI des ehemaligen Hörsaalgebäudes auf dem alten Bockenheimer Unicampus, die einer Rede des damaligen hessischen CDU-Vorsitzenden Alfred Dregger „zujubeln“.

Dieses Ereignis aus dem Jahr 1982 spielte zu seiner Zeit eine nicht ganz unwichtige Rolle im politischen Geschehen an der Universität, in Frankfurt, ja sogar im Bundesland Hessen. Im Herbst 1986 wurde das Foto Barbara Klemms dann anlässlich der Eröffnung der Station Bockenheimer Warte für die U-Bahnlinien U6 und U7 im öffentlichen Raum ausgestellt. Relativ schnell stießen wir anschließend beide unabhängig voneinander auf die große Bildwand und erkannten uns darauf. In den Jahren danach erzählten wir beim Um- und Aussteigen an der Haltestelle Bockenheimer Warte Freunden, Bekannten und Familienangehörigen immer wieder seine Geschichte – nicht zuletzt den eigenen Töchtern, die anfangs die Wirkung des Bildes in der Öffentlichkeit durchaus skeptisch beurteilten („Mensch Papa, wie hast du denn damals ausgesehen?“), später jedoch mit zunehmendem Stolz davon berichteten, ihre Väter seien hier präsent. Diese Geschichte jetzt auch einem größeren Frankfurter Publikum nahezubringen, war sicherlich der erste, nicht unbedeutende Beweggrund für unsere Teilnahme am Stadtteilhistoriker-Projekt.
Aufgefallen sind uns während unserer Recherchen zu Barbara Klemm einige kleine Ungenauigkeiten, die wir Laienhistoriker gern korrigiert haben oder auf die wir in aller Bescheidenheit hinweisen möchten. So enthielt z. B. das Wikipedia-Porträt der Fotografin (https://de.wikipedia.org/wiki/Barbara_Klemm) eine Aufnahme, die laut Bildunterschrift die „U-Bahn-Haltestelle Bockenheimer Warte in Frankfurt am Main mit Fotos von Barbara Klemm“ zeigen sollte. In Wirklichkeit gab die Abbildung jedoch Einblick in das zweite Tiefgeschoss der U-Bahnstation. Die dortigen Fotos mit Szenen aus der Universität stammen aber, wie erwähnt, ausschließlich von Mirko Krizanovic. Ein von uns aufgenommenes Bild, das Barbara Klemms Werke richtigerweise längs des Bahnsteigs für die Linien U6 und U7 im ersten Tiefgeschoss verortet, ersetzt bei Wikipedia seit dem Sommer 2023 das alte falsche Motiv.
„Beeindruck[t]“ haben die Fotoarbeiten Barbara Klemms immer wieder die beiden Autoren Sabine Bitter und Helmut Weber – bei ihren Streifzügen durch Bockenheim und das Westend im Rahmen der Vorarbeiten zu einer „kritischen Architekturgeschichte der Frankfurter Goethe-Universität“ (Sabine Bitter, Helmut Weber (Hrg.), Bildungsmoderne entzaubern, Hamburg und Graz 2021). Wie sie dann aber zu der Aussage gelangten, die Aufnahmen zeigten Szenen „aus dem Universitätsalltag der späten 1960er Jahre“ (Bitter, Weber, S. 113), entzieht sich unserer Kenntnis. Dass Bitter und Weber in eine Bildstrecke in der Mitte ihres Bandes, mit „wiederholte[n] Blicke[n] auf die 1986 realisierte Fotoinstallation der Frankfurter Fotografin Barbara Klemm und ihre Aufnahmen aus dem universitären Alltag der Studierenden“(a. a. O., S. 121), Motive von Krizanovic aus dem zweiten Tiefgeschoss der Station Bockenheimer Warte hineingemischt haben, macht ihre Würdigung Klemms nicht besser. Auch der Verweis allein auf Studentinnen und Studenten in dem Zitat ist irreführend. Wie wir im Laufe unserer Recherchen feststellen konnten, zeigen zahlreiche Bilder auch Bürgerinnen und Bürger aus Frankfurt und Umgebung, die nicht (mehr) studierten oder Hochschullehrer waren, aber dennoch an die Universität als Ort eines bedeutenden kulturellen Ereignisses oder einer öffentlichen politischen Debatte gekommen waren.
Eine winzige Ungenauigkeit ist schließlich auch dem Uni-Report in seiner Ausgabe vom 5. November 1986 (vgl. Uni-Report vom 5. November 1986, S. 1, https://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/40157/file/Unireport_1986_11.pdf, Zugriff am 8.7.2024) unterlaufen. Er weist in einer kurzen Notiz darauf hin, an der U-Bahnstation Bockenheimer Warte seien jetzt „Bilder aus der Universität Frankfurt“ zu sehen. Barbara Klemm sei „in den vergangenen Monaten“ durch die Hochschule gezogen und habe „Szenen aus dem Universitätsleben“ festgehalten. Nun ist diese Aussage zwar richtig, aber nicht vollständig. Denn einige der emblematischen Motive der Ausstellung an der Bockenheimer Warte (z. B. die Aufnahme Christa Wolfs von 1982) stammten bereits, auch das haben unsere Nachforschungen ergeben, aus dem Archiv der Fotografin und aus einer Zeit weit vor dem Herbst 1986.
Da wir uns aber nicht nur selbst bespiegeln wollten, war uns klar, dass sich unsere Darstellung nicht auf ein Fotomotiv beschränken, sondern das Ensemble der 15 Bilder in seiner Gesamtheit einbeziehen musste, um Aussagekraft zu gewinnen. Auch ohne zur Zeit unserer Bewerbung als Stadtteil-Historiker bereits zu wissen, dass Barbara Klemm für die Ausgestaltung des U-Bahnhofs einen ausdrücklichen Auftrag des Kulturamts der Stadt Frankfurt erhalten hatte[3], war ihre die Aufnahmen prägende, einheitliche künstlerische Handschrift bei den Aufnahmen von Anfang an deutlich. Und auch thematisch sahen wir schnell trotz der Vielfalt der Motive einen roten Faden: Hier waren durchgängig Szenen von den verschiedenen Standorten der Goethe-Universität und aus den Innenräumen der alten Universitätsgebäude von Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre zu sehen, die ein eindrückliches Bild der zu jener Zeit herrschenden Atmosphäre an der Hochschule vermitteln. Einer Atmosphäre, die trotz des Abebbens der 68er-Bewegung u. a. immer noch von Rebellion und intensiven politischen Auseinandersetzungen geprägt war. Barbara Klemm hatte, das kann man in dem Interview mit ihr in der Sonderbeilage der FAZ zum Jubiläum der Goethe-Universität[4] nachlesen, bereits in den 1960er und in der ersten Hälfte der 1970er Jahre die studentischen Proteste in Frankfurt fotografiert, die damals häufig von der Universität ihren Ausgang nahmen. Nicht umsonst wurde ihre Rolle als Dokumentaristin der Studentenbewegung später in der Ausstellung „Kunst der Revolte // Revolte der Kunst“ gewürdigt, die im Frühjahr 2018 im alten Studentenhaus auf dem Campus Bockenheim und im damaligen Ausstellungsraum des Universitätsarchivs gezeigt wurde.[5] Dass sie aber auch als Chronistin der nachfolgenden „78er-Generation“ verstanden werden kann – dies wollten wir nun mit unserer „Geschichte einer Fotoserie – die Aufnahmen im U-Bahnhof Bockenheimer Warte“ demonstrieren. Damit war aber auch klar, dass wir die Fotos Mirko Krizanovics nicht mit einbeziehen würden, da sie während eines späteren Zeitraums entstanden sind.
Darüber hinaus hatte sich seit der Veröffentlichung 1986 der Stellenwert der Wandbilder in der Station Bockenheimer Warte entscheidend verändert. Stimmten sie noch in den 1980er und 1990er Jahren die Hochschulangehörigen beim Aussteigen an der Haltestelle schon auf den eine Etage höher liegenden Campus ein, fiel diese Funktion spätestens mit dem Umzug der naturwissenschaftlichen Institute an den Riedberg und der übrigen Fachbereiche der Goethe-Universität ins Westend in den Poelzig-Bau (das ehemalige IG-Farben-Haus) seit den 2000er Jahren weg[6]. Die Hochschule hatte sich aus Bockenheim verabschiedet und jetzt in anderen Frankfurter Stadtteilen ihren Ort. Geblieben ist die Rolle der Fotos als historische Dokumente, die aber zumindest in Teilen inzwischen (das heißt in den Jahren 2023/24) längst nicht mehr selbsterklärend sind.

Eine Kurzgeschichte der Goethe-Universität bis 1986: Plakatwand in der U-Bahnstation Bockenheimer Warte
Wie also nun die Grundlagen für die Erzählung über die Fotos erarbeiten – 40 bis 50 Jahre nach ihrer Entstehung? Unabdingbar war natürlich ein Gespräch mit der Fotografin. Führen konnten wir es allerdings erst relativ spät im Verlauf unseres Projekts, da Barbara Klemm zuvor intensiv von anderen (Ausstellungs-)Projekten in Anspruch genommen wurde. Recherchen in Stadt- und Universitätsarchiv, in eigenen Unterlagen und/oder im Netz zu den abgebildeten Ereignissen kamen dazu. Die dritte Quelle bildeten Gespräche mit den auf den Fotos zu sehenden Protagonisten und Protagonistinnen, in denen auf ihre Erinnerungen an die fotografierten Szenen und auf ihre weitere Biografie Bezug genommen wurde. Uns interessierte, wie die Lebenswege und Karrieren derjenigen verlaufen waren, die mit ihren Abbildern quasi als Repräsentanten einer ganzen Generation den öffentlichen Raum an einem Verkehrsknotenpunkt in Frankfurt bevölkerten. Und wie sie auf die Zeit zurückblickten, aus der die Fotos stammten (ohne dass wir diese Interviews später in unserer Projektdokumentation eins zu eins hintereinander reihen wollten). Einer Zeit – und einer „Generation“ –, denen übrigens schon von unterschiedlichsten Feuilletonisten die unterschiedlichsten Diagnosen gestellt worden waren. So bereits Anfang der 1990er Jahre eher ironisch und vermeintlich distanziert von dem Journalisten Reinhard Mohr, selbst noch im Jahr 1979 AStA-Vorsitzender an der Goethe-Universität.[7] 30 Jahre später vom Historiker Philipp Sarasin, der die Jahre um „1977“ (so der lakonische Titel seines Buchs) als „Zwischenraum“, ja als Zeitenwende charakterisierte.[8] Oder zuletzt wohlwollend und ein wenig schulterklopfend von Roland Kaehlbrandt in einer Anfang 2023 wieder aufgeflackerten Debatte um die 78er-Generationenfrage in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.[9]
Ob diese Diagnosen in der Konfrontation mit den gesammelten Zeitzeugenaussagen Plausibilität beanspruchen können, war zwar nicht der wichtigste, aber doch ein interessanter Nebenaspekt unseres Forschungsprojekts. Bei der Beschäftigung mit dieser eher soziologischen Frage hatten wir allerdings die lokalhistorische nie vergessen: einen etwa ein Jahrzehnt umfassenden Abschnitt der Geschichte der Goethe-Universität zu erhellen, der eingebettet war in die Historie der Stadt Frankfurt. Und nachfolgenden Generationen (von Studentinnen und Studenten, U-Bahnfahrgästen oder Frankfurt-Touristen) zu erklären, was es mit den Szenen und den in Habitus und Kleidung heute bereits ein wenig fremd wirkenden Menschen auf sich hat, die sie da an der Bockenheimer Warte zu sehen bekommen. Wir hoffen jedenfalls, dass uns dies gelungen ist.
[1] https://blog.vgf-ffm.de/stationskunst/, Zugriff am 8.7.2024.
[2] https://brittakadolsky.com/kunst-unter-der-erde-der-louvre-des-rmv-frankfurt/, Zugriff am 8.7.2024.
[3] Frankfurter Allgemeine Zeitung / Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Verlagsspezial / „100 Jahre Goethe-Universität“, 26./29. Januar 2014, S. V6.
[4] a. a. O.
[5] Vgl. https://www.schirn.de/magazin/schirn_tipps/2018/kunst_der_revolte_revolte_der_kunst/, Zugriff am 8.7.2024.
[6] „Nach rund dreijährigem Umbau kann die Hochschule mit dem IG-Farben-Haus am 26. Oktober 2001 den ersten Abschnitt des Campus Westend eröffnen.“ (Von der Grüneburg zum Campus Westend, Frankfurt am Main 2007, S. 122).
[7] Reinhard Mohr, Zaungäste. Die Generation, die nach der Revolte kam, Frankfurt am Main 1992
[8] Philipp Sarasin, 1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart, Frankfurt am Main 2021
[9] Roland Kaehlbrandt, „Danke fürs Mitleid!“, FAZ vom 1.4.2023, S. 11