Dass die Fotowände an der Bockenheimer Warte nicht nur „Studierende“ und „Lehrende“[1] der Hochschule zeigen – dafür ist die Aufnahme der Fechter beim Patinando das beste Beispiel. Von den Personen, die wir dazu befragten, war niemand in Frankfurt an der Goethe-Universität eingeschrieben oder lehrte dort. Alle jedoch waren Mitglieder eines Sportvereins, der vom Zeitpunkt seiner Gründung im Jahr 1971 an auf ihrem Gelände trainieren konnte: des Universitätsfechtclubs (UFC) Frankfurt. Am Abend, als die Fotografin bei ihnen erschien,[2] hatten sie sich mit weiteren UFClern zum regulären, mit einer Aufwärmphase beginnenden Training in einem Kellerraum des Instituts für Sportwissenschaften an der Ginnheimer Landstraße 39 eingefunden.

Jan Zwak zum Beispiel, der gegenüber der Gruppe steht und ihr mit erhobenem Arm ein Kommando gibt, arbeitete nebenberuflich als Übungsleiter beim UFC – zusammen mit dem für die Degenfechter zuständigen István Szondy[3]. Nach Deutschland gekommen war Zwak 1980 aus Polen. Dort hatte er Sportwissenschaften studiert und zum Nationalkader der Fechter gehört. Da er nicht in den Schuldienst gehen, sondern als professioneller Trainer arbeiten wollte, absolvierte er ein Fernstudium. Das kommunistische Polen verließ er, weil er sich damals in seiner Heimat zu sehr eingeschränkt fühlte. Als Sportler habe er zwar einen gewissen Sonderstatus gehabt, doch „aus der Reihe durfte man auch als Sportler nicht tanzen“, so Zwak im Gespräch mit den Stadtteil-Historikern.[4] „Es hat einfach die Freiheit gefehlt.“ Aus finanziellen Gründen konnte ihn der UFC in Frankfurt nicht als hauptamtlichen Trainer beschäftigen, seinen Brotberuf hatte er bis zu seiner Pensionierung bei der Deutschen Post. Ab 1990 betreute er die Fechterinnen und Fechter der TG Dörnigheim, zum Zeitpunkt des Gesprächs mit ihm im April 2023 war er Trainer in Königstein, wo er bereits seit 1986 lebte. Mit der Goethe-Universität hatte er bis auf die Nutzung der Trainingsräume auf dem Sportcampus nichts zu tun.
Rainer Kluge und Alexander Gley, die beide mit ihrem Florett beim für das Patinando geforderten Ausfallschritt festgehalten sind, kamen als Mitglieder des UFC von außerhalb der Stadt auf den Sportcampus der Universität. Beide betrieben das Fechten als Wettkampfsport, der später als Facharzt an verschiedenen deutschen Kliniken arbeitende Gley gewann mehrere Hessenmeistertitel im Degenfechten, gab aber seine Sportlerkarriere nach dem beruflich bedingten Umzug nach Oberfranken 1991 auf. Kluge war (1983) ebenfalls hessischer Meister und verpasste später knapp die Nominierung für das deutsche Olympiateam. Er nahm an Wettbewerben auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene teil und betrieb den Fechtsport als Senior auch noch zum Zeitpunkt unseres Gesprächs mit ihm. Beide konnten sich nicht mehr genau daran erinnern, wann sie davon erfuhren, dass sie auf der großen Plakatwand an der Bockenheimer Warte verewigt sind. Gley fand es erstaunlich, dass die Fotos fast 40 Jahre nach Veröffentlichung immer noch am alten Platz zu sehen sind. Kluge ließ sich 2014 neben dem Foto Barbara Klemms ablichten – auch um zu dokumentieren, „was die 30 Jahre seitdem mit mir gemacht haben“.[5]

Rainer Kluge 30 Jahre nach dem Trainingsabend
Mit dem Spezialbegriff Patinando bei der Beschreibung des Fotos machte Elke Vogt die Stadtteil-Historiker bekannt. Sie selbst ist darauf zwar nicht zu sehen, hatte aber – als damalige stellvertretende Vorsitzende des UFC – am Tag seiner Entstehung Barbara Klemm ins Training des Vereins begleitet. Während der Aufnahmen stand Vogt direkt neben ihr.
„Das Patinando besteht aus Schritt vorwärts und Ausfall und wird häufig bei langen Angriffen angewandt, die sich aufgrund von Passivität des Gegners erforderlich machen. Es ist eine dreitempige Bewegungskombination, bei der der Schritt vorwärts (zweitempig) mit ansteigender Geschwindigkeit ausgeführt wird und an den sich der Ausfall mit maximaler Geschwindigkeit anschließt.“ Sport A–Z. Lexikon sportwissenschaftlicher Begriffe, https://spolex.de/lexikon/patinando/, Zugriff 21.5.2024. Zum besseren Verständnis demonstrierte Elke Vogt beim Treffen vor der Fotowand im U-Bahnhof den Stadtteil-Historikern die Bewegungsfolge direkt auf dem Bahnsteig, allerdings ohne Florett (!).
Sie war es auch, die den Stadtteil-Historikern über die Einzelheiten der Kooperation zwischen Hochschule und Verein berichtete und ihnen Dokumente zur Geschichte des Clubs Verfügung stellte:[6] Im September 1971 auf Initiative von István Szondy als Nachfolger des seit 1873 bestehenden Fecht-Clubs Hermannia gegründet, nahm der UFC außerdem sieben Fechtabteilungen verschiedener anderer Frankfurter Vereine auf.[7] Im Jahr 2005 war er der größte Fechtclub in Hessen, ein vereinseigener Überblickstext weist zahlreiche Titel und Medaillen bei nationalen und internationalen Wettkämpfen aller Altersklassen aus, darunter etwa Joachim Peter als Mannschaftsweltmeister im Degenwettbewerb 1973.[8] Bis in die 2010er Jahre trainierten die Mitglieder des UFC in dem eigens dafür eingerichteten Raum des Instituts für Leibesübungen (später Institut für Sportwissenschaften) der Goethe-Universität; ein Mitglied der Hochschule gehörte auch dem Vorstand des Vereins an. Eine Vereinbarung sah vor, dass die Studentinnen und Studenten des Instituts an den Trainings des UFC teilnehmen durften. Im Jahr 2015 kündigte die Hochschule dem Verein allerdings die Trainingsmöglichkeit, da der Raum aufgrund der gestiegenen Studentenzahlen für eigene Zwecke benötigt wurde.[9] Nachdem die bis zum Juni 2016 verlängerte Kündigungsfrist abgelaufen war, musste der UFC aus dem Sportinstitut ausziehen. Unter anderem weil keine geeigneten Ersatzräume für das Training gefunden wurden, löste sich der Verein im Jahr 2022 selbst auf, die verbliebenen aktiven Mitglieder wechselten zur Frankfurter Eintracht.[10] Damit war die Geschichte des Fechtsports an der Universität an ihr Ende gelangt.
[1] Studierende und lehrende Personen sind sowieso nur auf acht der insgesamt 15 Fotos an der Bockenheimer Warte zu sehen.
[2] Gemäß den Erinnerungen der Interviewpartner Elke Vogt, Alexander Gley und Rainer Kluge ist eine genauere Datierung als das Jahr 1984 nicht möglich. Auf dem Plakat an der Wand des Übungsraums kann man den Schriftzug „Universiade 1985“ entziffern, das laut Elke Vogt die Wettkämpfe der Welthochschulspiele ankündigte.
[3] Szondy hatte für sein Heimatland Ungarn an Wettkämpfen im Modernen Fünfkampf bei den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki und bei Hochschul-Weltmeisterschaften teilgenommen. Er war Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität. (Informationen von Elke Vogt, 1.7.2024)
[4] Mündlicher Bericht Johannes Zwak vom 18.4.2023.
[5] Mündliche Berichte Rainer Kluge vom 11.4.2023 und Alexander Gley vom 16.8.2023.
[6] Vgl. Geschichte des Universitätsfechtclubs Frankfurt e.V., Teil 1, o.O., o.J., S. 1; mündlicher Bericht Elke Vogt vom 1.7.2024.
[7] Screenshot einer alten Webseite des Online-Auftritts des UFC.
[8] Vgl. Geschichte des Universitätsfechtclubs Frankfurt e.V., Teil 2, o.O., o.J.
[9] Vgl. https://www.fnp.de/sport/regionalsport/suche-nach-einer-neuen-halle-10834892.html, Zugriff am 13.5.2023.
[10] Mündlicher Bericht Elke Vogt vom 28.3.2023.